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Braukunst Live! 2014

Bierbegeisterung pur oder Wachstum trotz Stillstand?

Hätte vor drei Jahren jemand prophezeit, dass die Braukunst Live! schon in ihrer dritten Ausgabe die Besucherzahlen der seit neun Jahren laufenden Schwesterveranstaltung Finest Spirits egalisieren würde, selbst Veranstalter Frank Böer hätte wohl mit beschwichtigender Geste gebeten, die Kirche doch vorerst im Dorf zu lassen.

Dennoch kam es so, und irgendwie ist auch niemand mehr sonderlich überrascht. Wie schon in den USA zeigt Craft Beer auch in Deutschland, dass es völlig losgelöst von der Talfahrt des sonstigen Bierkonsums wachsen und gedeihen kann. Tatsächlich bedingen sich diese gegensätzlichen Trends, denn Craft Beer vermittelt als Konterkultur all jene Werte, die dem Massenbier nach Einheitsgebot abhanden gekommen sind: Abwechslung, Tatendrang, Erneuerung…und vor allem Spaß. Spaß nicht nur am genussvollen Trinken von Bier, sondern am Produkt an sich, inklusive seiner Herstellung und den Menschen dahinter.

Wachstumswehen

Die Braukunst Live von obenInsofern erscheint es nur folgerichtig, dass eine bieraffine Stadt wie München und eine ganze Republik fernsehpilsmüder Gerstensaftgetreuer in Scharen auf ein Festival strömen, dass eben diese Werte greifbar macht. Und in Scharen kamen sie. Anders als elitär angehauchte Wein- und Spirituosenveranstaltungen erzeugt Bier unmittelbar Geselligkeit – nur das viele Bierfreunde diese wahrscheinlich nicht unbedingt in der Schlange vor dem MVG-Museum zu finden hofften. Der Samstag als geschäftigster Tag sah eine Warteschlange, die jedem Aussteller ein Lächeln auf die Lippen zauberte…auch, weil man als solcher einfach daran vorbei gehen konnte.

Dieser Andrang war ein Schulterklopfer für all jene, die sich um die Verbreitung eines gehobenen Bierbewusstseins bemühen, er hatte jedoch auch neue Probleme im Schlepptau:

Grob umrissen wagte die Braukunst Live! von Beginn an die Gratwanderung zwischen Festival und Messe und muss nun bei steigender Beliebtheit aufpassen, dass ihr dieser Balanceakt nicht auf die Füße fällt. Tendenzen, die wir schon im letzten Jahr andeuteten, traten jetzt deutlich zutage.
Größere Besucherzahlen bringen höheren Umsatz für Austeller und Veranstalter, dennoch stellt sich die Frage, ob man nicht auch dafür letzten Endes einen empfindlichen Preis berappen muss.
Gerade die kleinen Brauereien lieben natürlich das eifrig konsumierende Festivalpublikum. Die Standgebühren sind trotz Sonderkonditionen für Kleinbrauer kein Pappenstiel, und jedes zusätzlich verkaufte Bier mindert den tiefen Griff in die eigene Tasche, die so ein Messeauftritt für die Kleinen bedeutet.
Darüber läuft man aber Gefahr, den Verkostungsansatz der Messebesucher aus den Augen zu verlieren. Trunkenheit unter den Gästen nahm auch in diesem Jahr zu und zeigte abermals, dass manch Besucher “Biervielfalt” und “Bier! Viel! Fallt!” verwechselt. Wie als logische Gegenreaktion benahm sich auch das Sicherheitspersonal nochmals eine Stufe schroffer als im Vorjahr.

Kinderkrankheiten

Auch ansonsten zeigten sich Kinderkrankheiten, die im nächsten Jahr behoben sein müssen, soll nicht der Ruf der Veranstaltung als gehobenes, professionelles Festival Schaden nehmen:
So konnten auch trotz ohne Unterlass laufender Spülstraße die Gläser oft nicht schnell genug an die Stände geliefert werden, die Bühnentechnik verhinderte ab der vierten Reihe eine akustische Teilnahme der Gäste an dem Geschehen vor ihnen, und die kleine Privatfehde zwischen Ex-Aussteller Crew Republic und dem Veranstalter mutete von keiner Seite sehr souverän an.
Unmut verbreitete auch das Umsetzen einiger Stände am Aufbautag. Dies wirkte nicht nur auf die Aussteller unprofessionell, es brachte auch für die Gäste echte Nachteile, da plötzlich bereits gedruckte Standpläne und Stimmzettel nicht mehr aktuell waren und für Verwirrung sorgten.

Komm zurück auf die helle Seite, wir haben Bier!

Unsere Bühne auf der Braukunst LiveDoch genug der Nörgelei, denn es gab auch mehr als genug positive Erfahrungen.
So waren unsere Bühnendiskussionen trotz der technischen Schwierigkeiten durchweg gut besucht. Gerade wenn der Massenandrang persönliche Gespräche mit dem Brauer hinter dem Tresen erschwert, schafft die Präsentation auf der Bühne hier Ausgleich und bietet eine bequeme Möglichkeit, die Gesichter der Bierwelt nahezubringen.

Selbiges gilt für die Master Classes in den Verkostungsräumen. Hier wurde im Vergleich zum Vorjahr Food Pairing stärker betont. Schneider Weisse paarte Pralinen mit Weissbier, Braufactum ihre Biere mit deutschem Whisky, und Mixology präsentierte jeden Tag ein anderes Herrengedeck, sehr gelungene Kombinationen aus Bier und Spirituose. Währenddessen rückte Pilsner Urquell mit der Kitchen Guerrilla an. Dank dieser kulinarischen Unterstützung kombinierten sie auf verschiedene Weisen eingeschenktes Pilsener Urquell mit unterschiedlichen Speisen und zeigten so die Möglichkeiten auf, die sich schon durch ein einzelnes Bier ergeben.

Erwähnt werden sollen auch behobene Fehlerchen aus dem Vorjahr wie endlich vorhandenen Mülltonnen oder einem Aufstellungsplan, der abseits weniger Nadelöhre mehr bitter benötigte Freiflächen schuf.

Unsere Diskussionen auf der BühneErfreulich wurde die verstärkte Präsenz italienischer und nordamerikanischer Brauereien aufgenommen.
In Italien hat sich Bier im letzten Jahrzehnt einen Stellenwert vergleichbar mit dem von Wein erarbeitet, und Rückkehrer Brewfist und Newcomer Toccalmatto zeigten mit ihren Bieren Spaghetti Western und Dr. Caligari eindrucksvoll, warum.
Nach dem Auftritt von Rogue Ales und Greg Koch (Stone Brewing) im letzten Jahr schickte die Brewers Association diesmal gleich einen ganzen Container mit US Craft Beer. Organisiert und präsentiert in Zusammenarbeit mit Dérer Import und der Berlin Beer Academy bot der BA-Stand die wahrscheinlich größte Biervielfalt des Festivals.

Nicht vergessen wollen wir die Zeile ganz am hinteren Ende des Festivals: Hier versammelte sich hinter einem langen Tresen mit Hopfenstopfer, BrauKunstKeller, Schoppe Bräu, Kreativbrauerei Kehrwieder, AleMania und Pax Bräu die geballte Craft-Prominenz. Auch ein eigens eingebrauter Kollaborationssud aller sechs Brauer, ein IPA namens Triple Nipple, konnte hier verköstigt werden.

Wohin geht die Reise?

7800 Besucher nach offiziellen Zählungen, ein Anstieg von mehr als 35%. Damit schreibt die Braukunst Live! zum ersten Mal seit ihrem Bestehen ernsthaft schwarze Zahlen. Gleichzeitig plant Frank Böer in Nordrhein-Westfalen eine ähnliche Veranstaltung, diesmal von Beginn an mit einer Verschmelzung von Bier und Spirituosen. Der Zug rollt also unaufhaltsam nach Vorn, es steht jedoch zu hoffen, dass auch weiterhin sowohl Energie als auch Finanzmittel in die Weiterentwicklung der Braukunst Live! fließen. Denn auch wenn der Erfolg die bisherige Arbeit bestätigt - die Bierwelt verändert sich im Moment rasant, andere Veranstatlungs- und Messekonzepte quellen aus kreativen Köpfen wie übereifrige Hefe aus dem Gärbottich. Die Braukunst ist trotz ihrer erst drei Jahre die etablierte Veranstaltung, die Trends wie auch Standards setzen kann. Wenn ihr dies konsequent und professionell gelingt, wenn die zutagegetretenen Schwächen abgestellt und die Stärken (wie die konkurrenzlose Biervielfalt, die gemeinsame Präsentation von lokalen und internationalen Brauereien und der fruchtbare Austausch zwischen Brauer, Vermittler und Verbraucher) ausgebaut werden können, dann steht einer neuen Sensationsmeldung im nächsten Jahr nichts im Wege.